online am 30. Dezember 2019

30. Dezember – Traum oder Wirklichkeit

Es ist Weihnachten, keine Geschenke, nur gutes Essen. Ab einem gewissen Alter hat man alles, was man braucht und will keine Geschenke mehr.
Im Durchschnitt gibt jeder 400 € für Weihnachtsgeschenke aus – diese Information stammt aus dem Fernsehen. Mein Mann und ich beschenken uns seit Jahren nicht mehr an Weihnachten. Unsere nicht verschenkten 800 € werden demnach von anderen verschenkt, z.B. eine Person kauft Geschenke für 1200 € (= ihre 400 € + unsere 800 €) oder zwei Personen kaufen Geschenke für 1600 € (= 2x ihre 400 € + 2x unsere 400 €) usw.

Wir sitzen im Wohnzimmer, hören Weihnachtslieder und erfreuen uns an unserem geschmückten Tannenbaum.
Plötzlich steht der Weihnachtsmann im Raum. Durch den Kamin ist er nicht gekommen, das hätte ich gesehen. Da weder mein Mann noch ich einen Wunschzettel geschrieben haben, erstaunt uns sein Erscheinen.
Was will er?
Er kommt gleich zur Sache.
„Liebe Maria, warum hast du seit Jahren keine Wünsche?“
„Ich habe alles, was ich brauche.“
„Das glaube ich nicht. Dein Rollstuhl hat eine geringe Reichweite, mehr als 20 Kilometer schafft der nicht. Wäre es nicht schön mehr von der Welt zu sehen?“
„Ich weiß nicht. Kriege und Katastrophen können mich nicht locken.“
„Ich komme nach Weihnachten wieder, wenn Rentier Rudolf, die Elfen und ich vom ‚Wünsche erfüllen‚ erholt sind und zeige dir die Welt.“
Weg war er.
Seit dem warte ich.
Wann ist nach Weihnachten? Am 30., 31. Dezember oder ein Tag im Januar, Februar, März, … des neuen Jahres?
Wo will er mit mir hin?
Wie will er mit mir verreisen?
Reisen wir allein?
Fragen über Fragen.

Endlich! Am 30. Dezember erscheint der Weihnachtsmann in unserem Wohnzimmer.
„Bist du fertig? Können wir los?“
„Was muss ich mitnehmen?“
„Nichts! Bleib so wie du bist. Elfe Trixi wird uns begleiten. Sie hilft dir, falls du Hilfe brauchst.“
Rudolf parkt auf unserem Hausdach. Der Schlitten hat einen Rollstuhlplatz. Das habe ich nicht erwartet. Ich weiß auch nicht, wie ich dort hingekommen bin. Der Weihnachtsmann kann eben alles! Es geht los!

Paris ist unser Ziel. Der Eiffelturm, das Louvre, der Arc de Triomphe, die Kathedrale Notre-Dame de Paris („Unsere Liebe Frau von Paris“), all das wollen wir besuchen.
Notre-Dame de Paris bekannt aus Victor Hugos Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“.
Im April zerstörte ein Großbrand einen Teil des hölzernen Dachstuhls der Kathedrale.
Wir stehen vor ihr, ein prunkvolles Gebäude. Ich fühle mich klein, winzig. Keine Brandspuren, keine Zerstörung, da steht sie, wie eh und je. Ein Wunder?
„Wie kann das sein?“
Keine Antwort.

Paris bekannt als Stadt der Liebe, ein Zentrum für Kunst, Mode, Gastronomie und Kultur. Wir genießen Essen und Trinken in den Café-Bars, wo auch viele Künstler verkehren.

Ich denke wieder an die heile Notre-Dame.
„Wie kann das sein?“
Wieder keine Antwort.
Weiter geht’s.

Venedig ist unser Ziel. Ich kann es kaum glauben, die Stadt ist nicht mehr überflutet. Einwohner und Urlauber sind nicht in Gummistiefeln unterwegs. Das Schutzsystem „Mose“, das die Stadt künftig vor Überschwemmungen schützen soll, ist installiert. Die ganzen Schäden sind wie weggeblasen.
„Wie kann das sein?“
Keine Antwort.

Venedig, die Lagunenstadt, steht für Romantik, Kanäle und ganz viel Geschichte. Ihre Sehenswürdigkeiten, Paläste, Kirchen und Brücken, geben der Stadt ihr historisches Gesicht. Wir sind lange unterwegs, beeindruckt von dem was wir sehen. Zu Letzt genießen wir eine Gondelfahrt mit romantischen Klängen eines Musikers.

Ich denke wieder an das verschwundene Hochwasser.
„Wie kann das sein?“
Wieder keine Antwort.
Weiter geht’s.

Australien ist unser Ziel. Koalas, Kängurus, Robben, Pinguine, Urwälder, Sandstrände und die Ureinwohner, die Aborigines, über die ich so viel gelesen habe, all das will ich sehen. Umso mehr schmerzt die Zerstörungswut von Feuer und Hitze, die seit Monaten Land und Leben zerstören.

Nichts, keine Buschbrände, keine gestressten Feuerwehrmänner, keine Menschen und Tiere auf der Flucht vor den Flammen. Alles grünt und blüht.
„Wie kann das sein?“
Keine Antwort.

Australien, ein Kontinent zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean. Wir besuchen Sydney, Melbourne, das Great Barrier Reef, das wüstenartige Inland mit Kängurus und Schnabeltieren. Ich bin begeistert.

Ich denke wieder an die gelöschten Buschbrände.
„Wie kann das sein?“
Wieder keine Antwort.
Weiter geht’s.

Syrien ist unser Ziel. Ein Land in Schutt und Asche, zerstört durch den Bürgerkrieg seit 2011. Manchmal will ich mir die Tagesschau nicht ansehen, Städte in Trümmern, verletzte Menschen, Kinder nur Haut und Knochen.
Wir landen in Damaskus, Syriens Hauptstadt. Die Stadt sieht aus wie das blühende Leben.
„Wie kann das sein?“
Keine Antwort.

Es ist wie vor dem Krieg. Man lacht, kauft ein, arbeitet, isst, betet, raucht, diskutiert und feiert. Kinder spielen, ihr Lachen ist weit zu hören. Zahlreiche Völker und Religionen leben friedlich zusammen.

Ich denke wieder an das neu erblühte Land.
„Wie kann das sein?“
Wieder keine Antwort.

„Genug jetzt! Ich will endlich eine Antwort.“
„Na gut, deine Antwort: Die Menschen haben erkannt, wenn sie Neid, Zorn, Wut und alle schlechten Eigenschaften durch Liebe ersetzen und alle Menschen zusammenhalten und Verantwortung übernehmen über ihr Tun und Handeln, ist das Leben ganz einfach und die Welt ist gerettet und alles wird gut.“

Meine Reisebegleitung:

Rudolf, unser Navigator, brachte uns schnell und sicher an’s gewünschte Ziel. Während der Dunkelheit schaltete er sein „red nose“-Licht ein und unser Weg erstrahlte unter seiner Beleuchtung.
Danke Rudolf, du hast mir Sicherheit gegeben.

Trixi, die Elfe, war immer für mich da, besorgte Essen, Trinken und half mir beim Waschen und Umkleiden.
Danke Trixi für deine freundliche und liebevolle Betreuung.

Weihnachtsmann, Santa Claus, Väterchen Frost, du bist ein wandelndes Lexikon, ein Allwissender. Er beantwortete alle meine Fragen mit viel, viel Geduld und hatte jede Menge Zeit für mich.
Danke, Weihnachtsmann, für deine Geduld und deine Zeit.

Maria Eifrig, Dezember 2019

 

online am 16. November 2019

Als ich das Fenster öffnete, schwammen Fische ins Zimmer:

Das Wasser verteilt sich im ganzen Raum. Alles wird naß. Die Möbel versinken im
Wasser. Die Fische lieben es. Sie tummeln sich zwischen den Tisch- und Stuhlbeinen.
Manchmal springt einer aus dem Wasser und taucht geschwind wieder unter.
Die neue Umgebung scheint ihnen zu gefallen. Plötzlich erkennen sie die Gefahr. Kater
Mikesch sitzt auf dem Tisch und versucht mit der Pfote einen Fisch zu fangen. Es
klappt! Erst fängt er einen, dann einen weiteren. Sie scheinen ihm gut zu schmecken.
Die Pfoten werden geputzt. Die Jagd geht weiter.

Es kommen noch mehr Fische durch das Fenster. Das Wasser steigt.
Dann kommen Angler und wollen Fische fangen. Es wird immer voller. Ich bekomme
Platzangst. Käufer kommen und wollen frisches Fischfilet.
Vor dem Fenster fährt ein Boot vorbei. Neugierige Blicke, viele Fragen – jeder will wissen,
was die Fische im Zimmer machen.

Plötzlich ist Blaulicht zu sehen. Die Sirene des Weckers beendet die Fischinvasion.
Fortsetzung folgt morgen Nacht!

Maria Eifrig, Oktober 2019

 

online am 10. Oktober 2019

Die Tür ist aufgebrochen?

Peter, Susanne und die beiden Kleinen, Ilse und Werner, haben für heute einen Landausflug geplant.

Die vierköpfige Entenfamilie schwimmt zum Seeufer. Mit Hilfe der Eltern schaffen es die Kleinen sicher an Land. Sie putzen ihr Federkleid trocken und los geht‘s. Sie wollen das schiefe Holzhaus besuchen. Der Weg ist ziemlich weit, aber die Anstrengung lohnt sich. Die rastenden Menschen hinterlassen viele Leckerbissen – Brot, Plätzchen, Obst, Gemüse und …
Endlich sind sie angekommen. Niemand, weder Mensch noch Tier ist zu sehen. Irgendetwas ist anders als sonst, aber was? Ilse brüllt, „Die Tür steht auf.“ und saust mit entengalagtischer Geschwindigkeit Richtung Tür und ist verschwunden. Werner flitzt hinterher und ist ebenfalls verschwunden.
Der Mut ihrer Kinder versetzt die Enteneltern in Angst und Schrecken. Vorsichtig nähern sie sich der offenen Tür. Langsam betreten sie das Haus. Die Kinder sind nicht zu sehen, aber zu hören. Sie haben Spaß. Ihr vergnügtes Entengeschnatter ist eindeutig.

Mitten im Raum ist ein kleiner See entstanden. Das undichte Dach hat ein Schwimmbad für die Entenfamilie geschaffen. Ringsherum liegen die herrlichsten Köstlichkeiten. Das Unwetter hat sie vom Tisch geweht und die Tür einladend geöffnet.
Die Party kann losgehen.

Maria Eifrig, November 2015

 

online am 28. September 2019

Krokodilstränen

Das Krokodil lag in der Diele und weinte, als ich den Raum betrat.

Wir hatten uns seit 2 Wochen nicht mehr gesehen. Ich habe Urlaub gemacht und mein kleines Krokodil Kroko meiner Nachbarin anvertraut. Die Katzennärrin wurde von mir in die Krokodilspflege eingearbeitet: füttern, Körperpflege, Gassigehen und alles was zum Wohle meines Krokodils nötig ist.

Als ich sie auf die Krokodilstränen ansprach, gestand sie mir ihr kleines Geheimnis. Ihre Katzen Piff und Paff sind ihr heimlich in meine Wohnung gefolgt. Als sie Krokos Toilette reinigte, hörte sie Geräusche aus dem Nachbarzimmer. Die beiden Katzen turnten auf Krokos Rücken herum und leckten ihm Kopf, Rücken und Beine. Kroko gefiel das und brachte ein wohlig klingendes Geräusch hervor. Dann benutzten die Katzen Kroko als Cabrio und ließen sich durchs Zimmer chauffieren. „Ich kann es immer noch nicht so richtig glauben,“ sagt sie und zeigt mir zum Beweis ein Selfi von sich und dem Krokodil-Katzen-Gespann.

Wir haben beschlossen diese ungewöhnliche Freundschaft zu erhalten. Mit Krokos Freudentränen haben wir die Badewanne gefüllt. Die beiden Katzen Piff und Paff paddelten fröhlich in dem Krokodiltränensee. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann paddeln sie noch heute.

Maria Eifrig, Dezember 2015

 

online am 31. August 2019

Der Volltreffer – Teil 2

Ich liege im Bett und warte auf morgen. Habe ich einen Volltreffer gelandet?
Die Geschichte ist nicht frei erfunden. Ich habe sie selbst erlebt und sie geht weiter.
So endet Teil 1 im Mai 2017.

Wie geht es weiter, eine NeverEnding Story?

Zwei Tage dauerte das Glück nach der Notoperation. Die Spastik wird stärker. Glücklicherweise nicht so schlimm wie vor der Notoperation. Die Pumpe wird neu eingestellt, d.h. die tägliche Abgabemenge wird erhöht. Alles wird gut. Meine Spastik ist wieder erträglich.
Ich habe einen Volltreffer gelandet!

Meine Pumpe muss alle acht Wochen neu befüllt werden. Mit einer Spritze wird der Rest des Medikaments aus der Pumpe entfernt. Der Verbrauch wird so ermittelt (Füllmenge – Rest = Verbrauch). Gleichzeitig wird kontrolliert, ob die Pumpe korrekt gearbeitet hat. Anschließend wird das Medikament (Baclofen) in die Pumpe gespritzt. Über ein Gerät wird die tägliche Abgabemenge und das Datum des Pumpenalarms gespeichert. Pumpenalarm bedeutet, die Pumpe meldet sich, wenn sie gefüllt werden muss. Was passiert, wenn die Pumpe Alarm schlägt, habe ich bisher nicht erlebt. Aus Sicherheitsgründen findet die nächste Befüllung einige Tage vor dem Alarmdatum statt.

Seit Tagen höre ich ein Pieps, Pieps, Pieps und weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Dann bemerke ich, das Pieps, Pieps, Pieps kommt aus meinem Bauch. Pumpenalarm, jetzt kenne ich dich.
Was ist passiert?
Bei der letzten Befüllung wurde das Alarmdatum nicht gespeichert, die Pumpe meint, dass sie bald leer ist, ob wohl die letzte Befüllung erst einige Tage her ist. Ich verbringe einen halben Tag im Klinikum und bekomme mein Alarmdatum korrekt eingestellt. Der behandelnden Ärztin war der Fehler so peinlich, dass sie sich mehrfach bei mir entschuldigt hat. Ein seltenes Tun eines Weißkittels. Ich habe ihr einen halben Tag meines Lebens geschenkt.
Alles ist wieder gut.
Ich habe wieder meinen Volltreffer!

Trotz der Streßepisoden war es für mich der richtige Weg. Vergleicht man den Zeitraum, wo die Pumpe kein Volltreffer war – ca. 50 Tage von 3650 Tagen (= 10 Jahre) – verbleiben noch 3600 Tage für mein körperliches Wohlbefinden, ein Ausfall von 1,4%, das kann man aushalten oder?
Ich würde mich jederzeit wieder für eine Medikamentenpumpe gegen Spastik entscheiden – mein persönlicher Volltreffer.

Maria Eifrig, Juli 2017

 

online am 25. Juli 2019

Einmal im Leben

Es war ein großer Fehler sich in die Gesellschaft eines „vom Winde verweht“ Balles hinein zu schleusen.

Es fing mit einer Theaterführung an. Wir besuchten das Backstage und die Bereiche, wo normale Theaterbesucher keinen Zutritt haben.
Wir standen auf der Bühne und versuchten uns als Schauspieler oder Sänger, entdeckten den Souffleurplatz, nahmen eine Garderobe unter die Lupe und bestaunten den Orchestergraben. Die Beleuchtungstechnik wurde uns erklärt. Voller Stolz wurden uns diverse Scheinwerfereinstellungen präsentiert und zum Schluss besuchten wir den Kostümraum – welch eine Pracht. Es funkelte und glitzerte, erschreckte und erstaunte uns.
„Oh, welch eine Pracht!“
Dann sah ich es, ein Ballkleid, wie es die junge, schöne Scarlett O’Hara, Tochter eines reichen Plantagenbesitzers, im Film „Vom Winde verweht“ getragen hat.
Meine Augen leuchten bei dem Gedanken, einmal im Leben so ein Kleid zu tragen und darin über die Tanzfläche zu schweben.
Wie war das noch? Ein Wunsch geht in Erfüllung, wenn man die Augen schließt und sich nur auf diesen Wunsch konzentriert. Es gelingt. Ich öffne die Augen, trage das Ballkleid und schwebe mit meinem Partner über die Tanzfläche. Was für ein Traum!

Warum habe ich mir das gewünscht?
Es war grauenhaft. Das Kleid war schwer und umfangreich. Bei jedem Schritt bin ich irgendwo gegen gestoßen. Ich passte durch keine Tür.
Wie komme ich aus dem Kleid wieder raus?
Stecke ich den Rest meines Lebens hier fest?
Retter*in, bitte finde mich!

Maria Eifrig, März 2019

 

online am 15. Juni 2019

Verlorene Zeit

Beim Aufräumen fiel sie mir wieder in die Hände. Die perfekt gestaltete Geburtstagseinladung meiner neuen Freundin Christiane. Perfekt so wie sie. Das dezente Gelb der Karte bildete einen guten Kontrast zu ihrem dunklen Haar und ihr hübsches Gesicht kam besonders gut zur Geltung. Sie lächelte mir entgegen und ich dachte an ihre Worte. „Du kommst doch auch am Samstag zu meiner Gartenparty, so gegen 20:00 Uhr“, hatte sie gesagt, als sie mir die Einladung stolz in die Hand drückte. „Aber ich kenne doch niemanden“, entgegnete ich etwas unsicher.
„Ja und, dann lernst du eben neue Leute kennen. Die sind alle sehr nett und für dich wäre es bestimmt eine Abwechslung. Du solltest deinem grauen Alltag mal entfliehen“ wischte sie meine Bedenken vom Tisch. „Außerdem würde ich mich wirklich freuen, wenn du dabei wärest“, schmeichelte sie mir. Ich wollte darüber nachdenken und legte die Karte erst einmal zur Seite.

Da ich an den Wochenenden meistens nichts vorhatte und die Möglichkeit bestand nette Leute kennenzulernen, beschloss ich ganz mutig doch hinzugehen.
Deshalb stand ich am folgenden Samstag gegen 18:30 Uhr aufgeregt in der Küche und backte einen Nusskuchen. Fertigmischung, das musste reichen und das traute ich mir noch halbwegs zu. Jeder sollte als Geschenk etwas selbst Zubereitetes fürs Büfett mitbringen. Da ich eher ungeschickt beim Kochen und Backen war, hatte ich vorsichtshalber noch morgens einen sündhaft teuren Blumenstrauß gekauft. Rosen, die in sämtlichen Farben von gelb bis leicht violett leuchteten.
Das Malheur passierte, als ich den Kuchen aus seiner Form heben wollte. Das braune Etwas klebte an den Rändern, den Rest schaufelte ich mühsam heraus und ließ ihn auf den Teller plumpsen. Schwarz klaffte mir der riesige Riss entgegen. Das ärgerte mich besonders, blieben mir jetzt nur noch 11/4 Stunden inklusive Anfahrtsweg. Dabei wollte ich ursprünglich vor den anderen da sein. Konnte ich ja jetzt vergessen. Die Rosen allein würden mich auch nicht retten, es sollte doch etwas selbst Gemachtes dabei sein. Mit zittrigen Fingern riss ich die Packung auf, schmiss den winzigen Schokoladenbrocken in eine Chromaganschüssel, um ihn im Wasserbad aufzulösen.

Die braune Schokoladensauce versickerte im Kuchenkrater. Viel zu wenig! Hektisch rannte ich zu unserer Nachbarin, nicht ohne vorher noch meine Schokofinger an der hellen Hose abzuwischen. Keiner öffnete. Mit verschmierter Hose lief ich über die Straße. Wie gut, dass die Läden auch samstags so lange aufhaben.
Der schwarze Zeiger der Küchenuhr schritt unbarmherzig fort. Noch 50 Minuten. Auf ein Neues! Wasser musste wieder erhitzt werden. Das dauerte ewig. In der Zwischenzeit schnell noch eine neue Hose anziehen, diesmal die grüne. Noch 35 Minuten. Endlich war der Schokoguss fertig und ich verstrich ihn auf dem Kuchen, so dass es einigermaßen gleichmäßig aussah. An Verzierungen war ohnehin nicht mehr zu denken. Über den Transport hatte ich mir selbstverständlich keine Gedanken gemacht. Der Guss musste jetzt noch trocknen. Vielleicht sollte ich doch absagen. Zu spät kommen ist ja schon peinlich und dann mit so einem kärglichen Fertigkuchen. Sie würden mich alle anstarren und über meine Backkünste herziehen.

Ich wollte schon zum Hörer greifen, da hörte ich Christianes Stimme, die mir zuraunte: „ die sind alle sehr nett, du solltest deinem grauen Alltag entfliehen.“ Vielleicht hatte sie recht. Da musste ich jetzt durch.
Seufzend bedeckte ich mein „Meisterwerk“ mit einer Tortenhaube. Es rutschte zwar hin und her, konnte aber wenigstens an dem Griff transportiert werden. Jetzt war mir schon fast alles egal. Das Geschirr konnte ich auch noch in die Spülmaschine räumen.
Ich lief zum Auto. Ein Versuch, zwei, drei Versuche, es rührte sich nichts. Wütend und entnervt drehte ich noch ein paar mal den Schlüssel, doch der Wagen gab keinen Laut von sich. Na also, die Entscheidung wurde mir abgenommen. In meiner Wohnung angekommen sank ich erschöpft und verzweifelt auf den Küchenstuhl. So viel Mühe für nichts. Ich starrte das Telefon an. Es war doch ganz einfach. Ohne Auto konnte ich mit oder ohne Kuchen nicht dort hinkommen, da Christiane außerhalb wohnte. Mittlerweile war es 20:15 Uhr. Bestimmt waren schon die ersten Gäste da.
Entschlossen griff ich zum Hörer …
45 Minuten später drückte ich dem Taxifahrer meinen letzten Geldschein in die Hand, murmelte „stimmt so“ und marschierte pünktlich um 21:00 Uhr mit meinem Kuchen zu dem schmucken Einfamilienhaus in der Grünen Lindenallee 13.
Beim ersten Klingeln bemerkte ich dann, dass ich in der Aufregung den schönen Rosenstrauß in meinem Auto vergessen hatte. Als zunächst niemand öffnete, wollte ich umgehend wieder nach Hause fahren, bis mir einfiel, dass ich für ein Taxi zu wenig Geld hatte. Auch das zweite Klingeln wurde nicht wahrgenommen.
„Möglicherweise war es zu zaghaft oder es hat bei dem Trubel keiner gehört“, dachte ich und betätigte mutig ein drittes Mal länger und fester die Schelle. Endlich hörte ich Schritte. Ich setzte ein freundliches schüchternes Lächeln auf, als die Tür unwirsch aufgerissen wurde. Vor mir stand Christiane im weißen Bademantel, hinter ihr tauchte ein Typ mit verwuselten Haaren auf. Beide starrten mich an, als sei ich vom anderen Stern. Ich stotterte etwas wie „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, als Christiane begriff und in Lachen ausbrach. „Schätzchen, das ist lieb von dir, leider bist du eine Woche zu früh. Nächsten Samstag kannst du aber gerne wiederkommen.“

Christa Borowski-Schmitt, Mai 2008

 


online am 31. Mai 2019

Der Volltreffer

Es ist einige Jahre her, dass ich mich für eine Medikamentenpumpe entschied.
Meine tägliche Tablettendosis Baclofen gegen Spastik war so hoch, dass meine Arme kraftlos wurden. Mit einer Medikamentenpumpe wird Baclofen in den Rückenmarkskanal abgegeben. Da das Medikament nahe am Nervensystem verabreicht wird, erreicht man mit geringer Dosierung gute Beschwerdeverbesserungen.
Bei einem Aufenthalt in der Intensivstation der Neurochirurgie wurde der Einsatz einer Baclofenpumpe bei mir getestet. Ursprünglich waren 14 Tage für diesen Test geplant. Nach 3 Tagen konnte ich die Klinik verlassen. Der Test war positiv.
Die Implantierung der Pumpe – eine OP unter Vollnarkose – gelang problemlos. Nach sukzessiver Einstellung der Pumpe und dem Ausschleichen meiner Tablettendosis verbesserte sich mein Gesundheitszustand.
Ich habe einen Volltreffer gelandet!

Jahre später fühlte sich die Pumpe in meiner Bauchdecke nicht mehr wohl. Man sah deutlich, wo sie den Bauch verlassen wollte. Die Pumpe wurde gewechselt und an einer anderen Stelle im Bauch eingebettet, ein operativer Eingriff unter Vollnarkose.
Als die neue Pumpe zum ersten Mal gefüllt werden sollte, war die Einstichstelle nicht zu finden. Eine Röntgenaufnahme zeigte, dass die Einstichstelle auf der falschen Seite war. Sie schaute in den Bauch hinein, von außen nicht zu treffen. Die Pumpe musste gedreht werden, ein operativer Eingriff unter Vollnarkose. Alles wurde wieder bestens.
Ich habe einen Volltreffer gelandet!

Nach ca. 5 Jahre ist die Batterie der Pumpe fast aufgebraucht. Die Pumpe muss gewechselt werden, ein operativer Eingriff unter Vollnarkose. Nach einem 1,5 tägigen Aufenthalt im Krankenhaus bin ich mit dem Bewusstsein einen Volltreffer im Bauch zu haben nach Hause gefahren. Einen Tag später merke ich, dass die Pumpe nicht funktioniert. Die Spastik wird stärker. Am gleichen Tag folgt vom Operateur ein Test, der mich hoffen lässt, dass alles wieder gut wird. Es vergeht ein weiterer Tag, ein neuer Test, ein weiterer Tag. Die Spastik wird unerträglich. Nichts hilft. Eine Röntgenaufnahme zeigt einen Knick im Schlauch. Das Medikament findet seinen Weg nicht. Ich werde not operiert, liege im Bett und warte auf morgen.
Habe ich einen Volltreffer gelandet?

Die Geschichte ist nicht frei erfunden. Ich habe sie selbst erlebt und sie geht weiter.

Maria Eifrig, Mai 2017

 


online am 16. Mai 2019

Herzblatt

Einige werden sich vielleicht noch an die Sendung „Herzblatt“ erinnern, die 1987 mit Rudi Carrell startete. Susi Müller aus dem OFF fasste nach jeder Vorstellung noch einmal alles zusammen. Hier ist meine Version:

„ Ja liebe Felicità, nun musst du dich entscheiden. Wählst du Kandidat Nr. 1, den braun-gebrannten Jonny Walker, der dir gleich beim ersten Treffen triumphierend mitteilt, was er dir bieten kann:

Mein Haus, mein Auto, meine Yacht, ganz nach dem Motto: Visa, die Freiheit nehm´ich mir, der doch nicht blöd ist und dich testen will ohne lange Bindung, der maßgeschneiderte Lösungen für seinen Erfolg hat, nicht immer, aber immer öfter. Da weiß man, was man hat. Entdecke die Möglichkeit. Denkst du dann, keiner macht mich mehr an? Bild dir deine Meinung!

Oder entscheidest du dich für Kandidat Nr. 2, für Fred, den lachenden Vagabunden, der mit dir unbekümmert barfuß im Regen tanzt, ein Bett im Kornfeld macht und 99 Luftballons steigen lässt.
Er wünscht sich ein bisschen Frieden und für ihn ist es schön auf der Welt zu sein, auch wenn er noch niemals in New York war. Ein Mann, der dir rote Rosen überreicht, dich in die kleine Kneipe in seiner Straße einlädt, aber auch griechischen Wein mit dir trinkt. Mit ihm bist du nie mehr allein, denn eine neue Liebe ist wie ein neues Leben.

Dann bliebe noch Kandidat Nr.3, Dr. Schiwago. Als dein persönlicher Bodyguard kann er dich beschützen. Wenn der weiße Hai, der Fluch der Karibik, dich zu verschlingen droht, würde er mit dir zur Titanic schwimmen oder zu einer einsamen Insel. Dort könntet ihr wie Robinson Crusoe leben. Vielleicht beginnt mit ihm deine wahre Love Story und du wirst seine Pretty Woman.

Denk daran: Das Leben ist schön, aber jetzt musst du dich für einen der drei Kandidaten entscheiden Felicità, sonst werden deine Träume vom Winde verweht und du lebst mit 66 Jahren noch immer Tür an Tür mit Alice

Christa Borowski-Schmitt, April 2019

 


online am 21. April 2019

Die neugierige Kalli

Um sie herum war es stockfinster. Sie war eingesperrt, konnte sich nicht bewegen. Sie versuchte es trotzdem, bemerkte wie die Schale, die sie umgab, brüchig wurde. Je mehr sie sich streckte und reckte umso geräumiger und heller wurde es. Ihre Augen gewöhnten sich langsam ans Licht.
Dann, ein lautes Krachen, ihr Körper erstarrte.
„Krach, wumm, kaputt!“
Sie brauchte eine Zeit bis sie sich von dem Lärm erholte. Das war ihre Chance. Die Schale war zerbrochen. Sie konnte raus.
„Endlich in Freiheit!“
„Geschafft! Ich bin entkommen.“

Die Sonne scheint. Alles grünt und blüht, Blumen versprühen Düfte, locken Insekten in ihre Kelche, Vögel trällern Lieder und bauen Nester.
Es ist Frühling und sie springt hinein.

Sie landet auf einer Wiese, in der sich Gänseblümchen ausgebreitet haben, neben goldgelbem Löwenzahn. Ein Maulwurf schaufelt einen Hügel, ein Regenwurm versteckt sich hinter grünen Grashalmen, ein Eichhörnchen sucht seine versteckten Vorräte.
„Hier lässt es sich aushalten. Hier bleibe ich.“
Sie legt sich ins Gras, betrachtet den blauen Himmel und verfolgt den Flug einer Biene, die auf einem bunten Etwas landet.
„Was ist das?“
Sie nähert sich vorsichtig dem Objekt. Es ist ein Nest mit vielen bunten Eiern – rot, gelb, blau, grün und violett. Ihr gefällt, was sie sieht. Sie lauscht an der Schale, kein Geräusch dringt nach außen.
„Warum habt ihr euch hier versteckt?“
Sie rüttelt am Nest. Nichts passiert.
Eine Henne nähert sich ihr. Sie ist riesig, zum Fürchten.
„Was machst Du hier und warum rüttelst du am Nest?“
„Ich finde die farbigen Eier wunderschön und möchte deren Küken kennen lernen.“
„Oh! Du hast keine Ahnung. Kommt mit, ich erkläre es dir.“
„Mein Name ist Lilli. Verrätst du mir, wie du heißt?“
„Ich heiße Kalli.“
Sie verstecken sich hinter einem Strauch. Es dauert nicht lange und zwei Kinder laufen suchend über die Wiese. Immer, wenn sie ein Nest mit bunten Eiern finden, hört man einen Freudenschrei.
„Was wollen die mit den bunten Küken, Lilli?“
„Die Küken werden nicht geboren. Sie werden zu Eiern gekocht und mit Farbe verschönt. Das Ei, das Symbol des Lebens, in der christlichen Theologie das Symbol der Auferstehung. Die Farbe unterschied die jüngeren von den älteren Eiern. Heute wird Farbe zum Schmücken von Eiern verwendet. Diesen Brauch feiern die Menschen jedes Jahr.
Sie feiern ein Fest – die Auferstehung Jesu Christi – und wünschen jedem

frohe Ostern!“  

Maria Eifrig, April 2019

 


online am 27. März 2019

Helmut Kohl hat völlig recht

Man soll über Tote nur Gutes sagen, ich weiß. Aber nichts liegt mir ferner, als ihn und seine Lebensleistung hier zu verreißen. Das habe ich zu seinen Lebzeiten genug getan und er hat nun ein wenig Ruhe vor mir verdient. Der ewige Kanzler ist seit April 2017 tot und hat bei mir ein (über)lebensgroßes, seinen Körpermaßen entsprechendes Loch hinterlassen. Was mache ich jetzt nur ohne ihn?
Im Oktober 1982 erlangte er per konstruktivem Mißtrauensvotum die Kanzlerschaft, da war ich 15 und gerade in der Tanzschule. 1998 rollte er aus dem Amt und mit Schimpf und Schande in die politische Bedeutungslosigkeit und ich hatte kurz zuvor mein Studium beendet. In den prägendsten Jahren meines Lebens war er wie das Kaugummi an meiner Schuhsohle, das Hintergrundrauschen in meinem Ohr und der Zahnbelag an meinen Zähnen – er verschwand einfach nicht. Er war für mich Lachplatte und Ärgernis zugleich. Nichts an diesem Mann war humoristisch wertvoll, aber er war eben „Birne“, die Nulllösung aus der Pfalz, der mit Spendenbimbes (bimbes=Geld auf pfälzisch) gefüllte Saumagen, dessen Duktus und sprachliche Gewandtheit für beeindruckende Satzmonster sorgten. „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Hinten raus kam ja dann die deutsche Einheit und ziemlich viel braune Soße. Der späte Kohl war dann allerdings nur noch am maulen und stinkstiefeln, wenn er mal nicht auf seine glorreiche Vergangenheit, sondern von neunmalklugen Journalisten auf seine ruinöse Sozial- und Wirtschaftspolitik angesprochen wurde, wo doch, über Bitterfeld hinaus, überall blühende Landschaften entstanden. Beleidigt, wie er war, ging er zur Entspannung Spenden sammeln. Aber das war dann ja schon die Götterdämmerung und einfach nur noch zum kotzen.
Schade eigentlich, denn er begann sehr vielversprechend. Sein Geschwafel, gepaart mit dieser unvergleichlich gequetschten Sprachmelodie, waren die Lacher meiner Schul- und Studienzeit, aber auch bundesweit. Man hat ihn unterschätzt und das war für viele politische Gegner verhängnisvoll (siehe F.J. Strauß), aber auch für dieses Land. Nichtsdestotrotz wäre mein Leben ohne ihn ärmer gewesen. In der Schule war die Imitation seiner Stimme so etwas wie eine Geheimsprache zwischen mir und meinem Schulfreund, was ich im Laufe der Jahre immer mehr perfektionierte. Schließlich bin ich öfter damit aufgetreten und bis heute bastele ich gerne an Tonaufnahmen von ihm herum und „verbessere“ seine Aussagen.
Auch an meiner ersten große Liebe war Kohl schwergewichtig beteiligt. Auf einer Wahlkampf-veranstaltung 1990 trat er als Hauptredner auf und mein Schwarm und ich buhten uns die Seele aus dem Leib. Anschließend schlenderten wir stundenlang um den Aasee und als es dunkel wurde, waren wir ein Paar. Zum Ende seiner Kanzlerschaft brach auch unsere Beziehung auseinander – ich hätte ihn vielleicht doch wählen sollen.
So bleibt mir am Ende nichts Anderes übrig, als auf die Errichtung eines Denkmals zu warten, an dem ich mein Bein … nein, mein Wort erheben und ihm zuprosten kann: Helmut, du hattest Recht!

Marius Schmieda, März 2019

 


online am 27. Februar 2019

Der Sport

Mein Vater und mein Bruder waren leidenschaftliche Fußballfans. Dies haben sie an mich weitergegeben. Im Kindesalter spielte ich ständig mit den Jungs aus der Nachbarschaft Fußball. Da ich gut spielte, störte es nicht, dass ich ein Mädchen war. Als in unserem Dorf eine Fußballdamenmannschaft gegründet wurde, war ich natürlich dabei. Leider hatten wir auf Dauer nicht genug Spielerinnen. Ich wechselte zum Volleyball. Schnell beherrschte ich das Spiel. Dann musste ich in die große, weite Welt nach Münster. Münster ist eine riesige Stadt, wenn man wie ich, von einem Dorf mit achthundert Einwohnern stammt. Das war das Ende für den Volleyballsport. Ich begann zu schwimmen. Einmal pro Woche besuchte ich ein Schwimmbad und strebte einen persönlichen Rekord an – 1000 Meter Brustschwimmen. Irgendwann habe ich es geschafft. Einmal pro Woche Sport war mir zu wenig. Ich begann zu joggen. In meiner Nähe gab es eine Sportanlage. Eine Runde auf der Laufbahn waren 400 Meter. Es dauerte nicht lange, dann schaffte ich eine, dann zwei, dann drei Runden usw. Ich verlegte das Laufen vom Ascheplatz auf die Straße. Täglich lief ich am Abend 30 Minuten quer durch mein Wohngebiet. Kälte oder Regen waren für mich kein Hinderungsgrund, gelaufen wurde immer.

Stopp, Fortsetzung folgt! Kein Sport mehr für eine Weile, viel zu viele andere Dinge sind wichtiger. Bald geht es wieder los!

Stopp, aus und vorbei! Für immer vorbei! Die MS hat sich breit gemacht – kein schwimmen, kein joggen, schlimmer noch, kein stehen und gehen.

Stopp, jetzt erst recht! Sport im Rollstuhl!
Ziel: keine weitere körperliche Verschlechterung.

Krankengymnastik und Ergotherapie hat mir mein Neurologe verordnet. Für meinen kranken Körper ist die Anzahl der verschriebenen Anwendungen nicht ausreichend. Ich erstelle mir ein zusätzliches Trainingsprogramm. Glücklicherweise habe ich einen Rollstuhl mit Stehfunktion. Mehrmals am Tag fünf bis zehn Minuten stehen, abends die Beine mit einem Bewegungstrainer durchbewegen.
Einige Übungen integriere ich in meinen Tagesablauf. Die Arbeit am Computer ist ideal für Fingerübungen. Trinken ohne Strohhalm: Ich verwende zum Trinken eine leichte Tasse und benutze einen Strohhalm nur im Notfall – das jeden Tag aufs Neue, solange bis es klappt. Es funktioniert wieder – trinken ohne Strohhalm, direkt aus der Tasse oder aus einem Glas. Ich hatte vergessen, dass das viel besser schmeckt.

Ziel erreicht: Seit langer Zeit habe ich keine körperlichen Verschlechterungen, eher leichte Verbesserungen.

Maria Eifrig, Mai 2017 

 


online am 02. Februar 2019

Rolli-Joggen – Teil 6

Geschafft! Rolli-Joggen gehört zu meinem Tagesablauf. Aufstehen, Zähne putzen, Katzen füttern, Rolli-Joggen.

Im Augenblick wird Rolli-Joggen zu einer eisigen  Herausforderung. Es ist Ende Februar, eine sibirische Kältewelle überrollt Deutschland, Europa. Heute hatten wir morgens -7°C, am Nachmittag wechselte die Temperaturanzeige zwischen -5°C und -6°C. Den kräftig wehenden Nordostwind mit Windstärke 3-4 darf ich nicht vergessen. Die gefühlte Temperatur soll in Münster bis zu -16°C betragen.

Wer denkt, ich traue mich nicht nach draußen, der irrt sich. Auch jemand mit MS besitzt Charakterstärke. Ich mummele mich ein – Mütze, Schal, Handschuhe, Gesicht eincremen nicht vergessen und los geht’s. Es ist eine große, eiskalte Herausforderung. Mein übliches Sportprogramm entfällt heute. Ich konzentriere mich auf meine Strecke und genieße die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Wie üblich sind Hundehalter unterwegs. Einige davon treffe ich fast täglich. Was mich positiv stimmt, ist der morgendliche Gruß, wenn man sich begegnet. Alle sind wie ich gut eingemummelt, nur die Tiere müssen mit ihrem Winterfell auskommen.

Es ist kaum zu glauben, aber ich schaffe meine tägliche Runde. Überglücklich komme ich zu Hause an. Ich bin durchgefroren, meine rechte Hand ist trotz Handschuh am meisten betroffen. Vermutlich ist die Kälte des  Steuerelements in den rechten Handschuh gekrochen. In der wohligen Heizungswärme, mit einem Pott Kaffee,  taue ich schnell wieder auf.

Ich bin stolz auf mich! Weder der Rollstuhl, noch die MS haben Rolli-Joggen bei eisiger Kälte verhindert. Meine Krankengymnastin hat mir empfohlen Rolli-Joggen auch in den Wintermonaten durchzuführen, da ein Ausflug an  frischer Luft das Immunsystem stärkt. Das stimmt! ich fühle mich gesund, wenn ich die MS wegdenke.

Ich bin stolz auf mich, denn ich bin ehrlich. An den folgenden 2 Tagen lasse ich Rolli-Joggen ausfallen. Die Kälte nimmt zu, aus -7°C werden -9°C, der Wind weht mit Windstärke 5 und meine Charakterstärke sagt mir, „tu Dir das nicht an.“

Es lebe der Sport! Es lebe der ehrliche Grund, der ihn ausfallen lässt!

Maria Eifrig, Februar 2018

 


online am 12. Januar 2019

Silvester

Gut das Weihnachten vorbei ist. Eigentlich wollte ich ein paar Tage zur Ruhe kommen, aber mein Job und die Weihnachtsvorbereitungen haben mir nur Stress und Hektik beschert. Silvester soll ruhiger und entspannter werden. Ich bin selber schuld, dass es nicht so wird. Alle wollen eine Fete machen mit leckerem Essen, guten Getränken, Bleigießen, Raketen, …
Es fehlen nur Ort und Organisator. Wie gut das es mich und unser Haus gibt.
Die Planung steht. Das Menü, die Getränke und der Vergnügungsplan bis zum Jahreswechsel sind besprochen. Silvester kann kommen.
Da ich täglich ca. 10 Stunden arbeite und es gewohnt bin mich gut zu organisieren, funktioniert alles perfekt. Haltbare Lebensmittel und Getränke werden früher eingekauft. Die benötigten frischen Dinge für Silvester vorbestellt.
Wir haben Silvester. Ab 8:00 Uhr bin ich unterwegs. Die Vorbestellungen vom Bäcker und Fleischer müssen abgeholt werden. Die Einkaufsschlangen vor den Kassen sind riesig. Alles dauert doppelt so lange wie sonst. Um 10:00 Uhr bin ich wieder zu Hause, genieße in Ruhe ein belegtes Brötchen und eine Tasse Kaffee.
Die häuslichen Vorbereitungen beginnen. Besteck, Porzellan und Gläser, die selten verwendet werden, müssen gespült werden. Dann muss ich mich um das Essen kümmern – Salat putzen, Fleisch schneiden, Soßen machen usw. alles, was für ein deftiges Fondue benötigt wird. Um 16:00 Uhr brauche ich dringend eine Pause. Kaffee und was Essbares machen mich wieder fit.
Um 18:00 Uhr kommen die ersten Helfer. Unser Wohnzimmer wird komplett umgeräumt. Tische und Stühle werden zu einer festlichen Tafel hergerichtet. Langsam trudeln alle Gäste ein. Mit dem mittlerweile traditionellen Sketch „Dinner for One“  beginnt die Fete.
Es wird ein langer, lustiger Abend. Besonders unser gewaltiges Feuerwerk ist mir in Erinnerung geblieben.
Einige Gäste verlassen erst in den frühen Morgenstunden unser Haus. Ein wenig Energie bleibt mir um das schlimmste Chaos zu beseitigen, dann falle ich tot müde ins Bett.
Prosit Neujahr!

Silvester heute ist nicht zu vergleichen. Mein Mann muss planen, einkaufen und alles vorbereiten. Ich ärgere mich über mich selbst, weil ich nur Zuschauer bin. Die Gäste bleiben aus, sind verhindert oder kennen den Weg nicht mehr. Wir machen es uns gemütlich bei leckerem Essen und gutem Wein. Manchmal leistet uns eine Freundin Gesellschaft. Um Mitternacht gehen wir nach draußen, bewundern die prächtigen Raketen am Himmel, treffen auf Nachbarn und stoßen mit einem Glas Sekt auf ein gesundes, neues Jahr an.
Prosit Neujahr!

Maria Eifrig, November 2016

 


online am 19. Dezember 2018

Weiße Weihnacht

Es ist Weihnachten und leise rieselt der Schnee,

nein, doch nicht. Er hat uns verlassen der Weihnachtsschnee. Der Blick aufs Thermometer zeigt 13°C. Kein Wunder, wie soll bei diesen Temperaturen Schnee fallen, vielleicht nächstes Jahr wieder. Das sage ich mir seit sechs Jahren und jedes Jahr das Selbe, kein Schnee, weil es viel zu warm ist. Auf einmal wird mir bewusst, was passiert ist: Der Weihnachtsschnee steckt im Fernseher fest. Immer, wenn ich an Weihnachten den Fernseher einschaltete, sehe ich den Weihnachtsmann und Rudi, das Rentier, wie sie mit ihrem Schlitten im Schnee unterwegs sind. Ich springe in den Fernseher und  da ist sie, die weiße Weihnacht.

Maria Eifrig, Dezember 2016