online am 19. Dezember 2018

Weiße Weihnacht

Es ist Weihnachten und leise rieselt der Schnee,

nein, doch nicht. Er hat uns verlassen der Weihnachtsschnee. Der Blick aufs Thermometer zeigt 13°C. Kein Wunder, wie soll bei diesen Temperaturen Schnee fallen, vielleicht nächstes Jahr wieder. Das sage ich mir seit sechs Jahren und jedes Jahr das Selbe, kein Schnee, weil es viel zu warm ist. Auf einmal wird mir bewusst, was passiert ist: Der Weihnachtsschnee steckt im Fernseher fest. Immer, wenn ich an Weihnachten den Fernseher einschaltete, sehe ich den Weihnachtsmann und Rudi, das Rentier, wie sie mit ihrem Schlitten im Schnee unterwegs sind. Ich springe in den Fernseher und  da ist sie, die weiße Weihnacht.

Maria Eifrig, Dezember 2016


online am 26. November 2018

Der Pflegedienst war da

Er kommt morgens und abends, setzt mich morgens in meinen Rollstuhl und bringt mich abends zu Bett.
Ich muss immer darauf achten, dass der Pflegedienst alle für mich notwendigen Tätigkeiten durchführt. Bin ich unkonzentriert, passieren häufig für mich unangenehme Dinge.

Heute Abend funktioniert alles reibungslos. Als die Haustür vom Pflegedienst von außen geschlossen wird, bemerke ich, dass mein Rollstuhl nicht am Ladegerät hängt. Glücklicherweise ist mein Mann zu hause. Er kann das Missgeschick beheben. Mir ist dies, während dem Urlaub  meines Mannes passiert, der geplante Ausflug für den nächsten Tag ist ins „Wasser gefallen“.

Morgens ist es meist schlimmer. Ständig muss ich nacharbeiten. Offene Schranktüren, halb geschlossene Schubladen, offene Packungen Feuchttücher, offene Tuben Duschbad, Shampoo und Pflegecremes, nicht weg geräumtes Arbeitsmaterial und …

Traurig ist, dass die Kranken, die auf Hilfe angewiesen sind, immer für die Gesunden mitdenken müssen, da diese nicht fähig sind zu verstehen,
was es heißt, Sachen nicht greifen zu können, weil diese nicht an ihrem Platz stehen.
was es heißt, den Sicherheitsgurt nicht anzulegen, weil man den Gurt nicht erreicht.
was es heißt, sich nicht unter Menschen zu trauen, weil der Urinbeutel für jeden sichtbar platziert ist.

Trotzdem, ich muss froh sein, dass es den ambulanten Pflegedienst gibt, denn so kann ich weiterhin mit meinem Mann und unseren beiden Katzen zu Hause wohnen.

Maria Eifrig, November 2016


online am 10. November 2018

Eine Nacht

Ich bin mal wieder vorm Fernseher eingeschlafen. Pünktlich zum Ende der Sendung werde ich wach und verkrümele mich ins obere Stockwerk, wo unser Schlafzimmer ist. Zähneputzen und ab ins Bett. Jetzt bin ich wieder so munter, dass ich mich meiner Bettlektüre widmen kann. Nach einer halben Stunde schmökern, ist es Zeit das Licht zu löschen. Ich lege mich auf den Bauch und knuddele mein Kopfkissen so, dass ich meinen Kopf bequem ablegen kann. Als mein Mann, die Nachteule, endlich ins Bett kommt, schmiege ich mich an ihn, halte seinen Körper festumschlungen und genieße seine wohlige Wärme, einfach wunderbar. Falls jemand an eine Fortsetzung mit Sex denkt, darüber schreibe ich nicht, das ist mir zu intim. Gerne darf der Leser Fantasien bilden und eine Weile pausieren.
Morgens um vier werde ich wach und kann nicht wieder einschlafen. Ich gehe in mein Zimmer, räume alles Mögliche auf (Ordnung ist mein zweites Leben), höre eine meiner momentanen Lieblings-CDs und fühle mich soooooo gut, voll unverbrauchter Energie. Nach zwei Stunden ist es vorbei, die Kraft lässt nach, Zeit für eine Pause. Da wir Wochenende haben, lege ich mich wieder ins Bett, kuschele mich an meinen Mann und schlafe noch ein wenig.

Seit ich nicht mehr laufen kann, habe ich ein Pflegebett. Höhe, Kopf- und Fußteil sind elektrisch verstellbar. Das Arbeitszimmer meines Mannes im Erdgeschoß wurde als Pflegezimmer umfunktioniert. Der Pflegedienst kommt morgens und abends. Er legt mich abends ins Bett bzw. holt mich morgens wieder raus.
Ich schlafe immer auf dem Rücken. Ohne fremde Hilfe kann ich mich nicht umlagern. Wenn der Pflegedienst seinen Einsatz beendet hat, kommt meine Katze Kallisto ins Bett, wärmt meinen Bauch, will gestreichelt werden und leckt mir zum Dank die Hände, bis sie wohlig schnurrend einschläft. Am Morgen, bevor der Pflegedienst kommt, verlässt sie fluchtartig das Bett.

Maria Eifrig, Dezember 2016


online am 29. Oktober 2018

Der Kompromiss

Vor 10 Jahren habe ich ein Prospekt eines Aufstehrollstuhls entdeckt. Ich war beeindruckt, dass es so was gibt. Ich vereinbarte mit dem Außenmitarbeiter des Herstellers einen Vorführtermin. Der Aufstehrollstuhl hat mich so begeistert, dass ich den Kampf mit der Krankenkasse aufnahm. Nach einem einjährigen Kampf war es fast  so weit, ich führte ein einstündiges Telefonat mit dem zuständigen Sachbearbeiter meiner Krankenkasse. Sein Angebot war ein Stehpult und ein Rollstuhl mit verstellbarer Rückenlehne – „Sie müssen auch mal einen  Kompromiss eingehen.
Diese Aussage habe ich bis heute nicht vergessen, denn ständig werde ich mit Situationen konfrontiert, die an meine Kompromissbereitschaft appellieren. Ich bin seinem Kompromissvorschlag nicht gefolgt. Ich habe weiter gekämpft und meinen Aufstehrollstuhl mit Liegefunktion bekommen. Das hat sich gelohnt!

Dann gibt es noch den faulen Kompromiss, ein Kompromiss der keiner ist, ein Kompromiss der einem keine Wahl lässt.
Ich habe ihn gestern zu spüren bekommen bei einem Gespräch mit meinem Pflegedienst. Da das Pflegepersonal zu viele Überstunden aufbaut, die Begründung, muss meine abendliche Versorgung um eine halbe Stunde vorverlegt werden. Der Kompromiss ist, ich muss mich anpassen, ich muss eine halbe Stunde früher ins Bett, ich habe keine Wahl!

Ein ähnliches Beispiel, das ich gestern in einer WDR  Fernsehreportage gesehen habe: Eine Rollstuhlfahrerin wird am Bahnhof stehen gelassen. Sie kann die Eurobahn ab sofort nicht mehr nutzen, da die vorhandenen Rampen, die Begründung, nicht sicher sind. Ein Umbau kann bis zu einem halben Jahr dauern. Der Kompromiss, ein Taxi nehmen (Wer kann das bezahlen?) oder zu Hause bleiben.

Die Gesunden verdienen an uns Menschen mit Behinderung, egal ob als Sachbearbeiter einer Krankenkasse, als Physiotherapeut, als Mitarbeiter eines Pflegedienstes oder … Wir werden nicht als Kunden*innen behandelt, deren Wünsche erfüllt werden sollen, denn die Gesunden stellen die Regeln auf, nach denen sich die Behinderten zu richten haben.

Liebe Gesunde, danke, danke, dass ihr unser Leben regelt, wir passen uns gerne an!

Maria Eifrig, März 2018


online am 10. Oktober 2018

 Schick, aber (fast) nutzlos

Endlich hatte ich seit längerem wieder einen größeren Einsatz. Ich hoffe, dass dies in Zukunft häufiger geschieht. Meine Besitzerin dagegen wünscht sich bestimmt genau das Gegenteil. Manchmal kann ich es sogar verstehen. Dabei bin ich jetzt wieder völlig o.k. , topfit und sehe vor allem richtig schick aus. Mein Äußeres spielte bei der Auswahl eine wichtige Rolle. Ich trage nicht wie die meisten meiner Artgenossen ein langweiliges Schwarz oder abgedecktes Rot, nein ich strahle in einem auffallenden kräftigen Türkis. Auffallen ist alles! Meine Besitzerin hat bewusst darauf geachtet. Wenn schon, denn schon! Billig war ich auch nicht, aber eine Zeitlang recht nutzlos.
Ich wurde nämlich zunächst in den Keller verbannt. Da fristete ich mein trostloses Dasein zwischen Koffern, altem Geschirr und ausrangierten Aktenordnern. Was für ein Umfeld!
Später wurde ich hin und wieder herausgeholt und in den dunklen Kofferraum eines Autos verfrachtet. Es ging dann für ein paar Tage  an irgendeinen Urlaubsort. Dort durfte ich mich in meiner ganzen Pracht der Öffentlichkeit zeigen. In Gaststätten und Cafés wurde ich dann wieder in die Ecke geschoben, da ich sonst nur im Wege herumstand.
Zu Hause angekommen, ging es sofort wieder ab in den Keller. Meine Besitzerin schob lieber ihr kleines rotes Fahrrad, wenn sie Kurzstrecken zurücklegen musste oder benutzte den Bus. Ich hatte fast das Gefühl, sie schämte sich, sich in ihrer näheren Umgebung mit mir blicken zu lassen. Ich wünschte mir so sehr, häufiger eingesetzt zu werden, zumal ich mich wirklich sehen lassen konnte.
Ich weiß nicht, ob es an der miefigen Kellerluft oder dem vielen Herumstehen lag, jedenfalls war ich plötzlich nicht mehr funktionsfähig. Kann auch sein, dass ich rebellierte. Irgendetwas klemmte und meine Klappfunktion ließ nach, so dass ich nur schwer in ein Auto verstaut werden konnte. Kurzerhand kam ich in die Werkstatt und wurde wieder auf Vordermann gebracht,  zu meinem Leidwesen aber auch nicht häufiger eingesetzt.

Immerhin kam ich eines Tages vom Keller in den Hausflur. Was für ein Aufstieg!
Dies war einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass meine Besitzerin nicht mehr in der Lage war, mich aus dem Keller hochzutragen.
Ich wurde an das kleine rote Rad gekettet und blickte eifersüchtig, aber auch traurig auf meinen Rivalen. Dieser kam für die kürzeren Wege (wie zur nahegelegenen Krankengymnastikpraxis) nach wie vor zum Einsatz.
Das änderte sich erst als mich eine Freundin meiner Besitzerin erblickte und ganz begeistert auf mein schickes Outfit und die funktionale Unterstützung hinwies. So durfte ich die beiden Damen ins nahe gelegene Café begleiten.
Von da an wurde ich öfter eingesetzt.
Gestern schob mich meine Besitzerin bei strahlendem Sonnenschein Richtung Promenade. Ich stützte sie so gut ich konnte. Als alle Bänke besetzt waren und sie aufgrund ihrer Situation das heulende Elend überkam, war ich ihr eine große Hilfe. Sie konnte sich auf mir niederlassen, entfernt und unabhängig von feststehenden Sitzgelegenheiten, die bereits von anderen Sonnenhungrigen belagert worden waren. Als sie mit Tränen in den Augen in die Sonne blinzelte, wussten wir beide, dass ein Rollator, durchaus auch bei jüngeren Menschen, eine Daseinsberechtigung haben kann.

Christa Borowski-Schmitt, Oktober 2018


online am 24. September 2018

Nichts hilft!

Wer kennt das nicht, wenn sie nicht verschwindet, die negative Stimmung, die schlechte Laune.
Oft hilft es mir, wenn ich nach draußen „rolle“. Ich schnappe mir meinen MP3-Player und los geht‘s.
Heut hilft es nicht! Die Gesunden frustrieren mich, wenn ich sehe, wie sie Rasen mähen, ihr Auto waschen, den Einkauf ausladen oder mit dem Fahrrad an mir vorbei sausen. Wohin ich schaue, blicke ich auf das Können der Gesunden und mir wird klar, wie viele Dinge es gibt, die  ich nicht mehr kann.

Meine Stimmung wird nicht besser, trotz 25°C im Schatten und einem strahlend blauen Himmel.

Eine Frau mit einem Windhund kommt mir entgegen. Wir kommen ins Gespräch. Windhunde wirken normalerweise ruhig und stolz auf Menschen. Dieses junge Tier hat noch nie einen Rollstuhl gesehen. Es gerät in Panik und versteckt sich hinter der Hundehalterin. Nicht einmal Leckerlies aus meiner Hand bringen es dazu sich mir zu nähern. Wir geben auf und wollen es ein anderes Mal erneut versuchen.

Eigentlich bin ich ein liebenswerter Mensch. Wieso hat  ein so großes Tier vor mir und meinem Rollstuhl Angst? Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, warum meine schlechte Laune plötzlich weg ist.
Nichts hilft, stimmt nicht! Irgendwas hat geholfen. War es die spürbare Angst des Hundes? War es das Gespräch mit der Hundehalterin? Ich weiß es nicht!

Diese wenigen Minuten haben mich gerettet. Die schlechte Laune ist verflogen. Ich fühle mich wie befreit und kann mit guten Gedanken nach Hause „rollen“.

Maria Eifrig, Juli 2017


online am 11. September 2018

Die Bustour

Im vergangenen Jahr habe ich mir bei der Stadt eine Wertmarke besorgt, die mich berechtigt den öffentlichen Busverkehr kostenlos zu nutzen. Einige Male bin ich in Begleitung meines Mannes busgefahren, nie allein. Ich war nicht mutig genug.
Heute starte ich meinen ersten Versuch. Eine Bushaltestelle befindet sich ganz in meiner Nähe. Ich suche mir Abfahrtzeiten und eine Zielhaltestelle heraus. Das Wetter ist gut, ich habe genügend Zeit um mein Ziel alternativ mit meinem E-Rollstuhl zu erreichen, aber ich will busfahren üben. Gemütlich rolle ich in Richtung Bushaltestelle. In letzter Minute kneife ich, fahre an der Haltestelle vorbei und erreiche rollend mein Ziel.
Vielleicht traue ich mich ein anderes Mal!?

Eine Woche später versuche ich es erneut. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen.
„Du schaffst das. Es ist bestimmt jemand da, der dir die Rampe ausklappt. Reis dich zusammen, du Memme!“
Langsam komme ich der Bushaltestelle näher. Einige  warten bereits. Ich werde immer nervöser. Mein Herz rast. Ich zittere ein wenig. Ich halte an. Die Wartenden  erkennen, dass ich mitfahren will. Jetzt noch wegrollen? Das wäre peinlich! Es ist zu spät. Der Bus kommt. Ein Junge, 10, vielleicht 12 Jahre alt, klappt für mich die Rampe aus. Ich fahre hinein, bedanke mich und platziere mich in der Rolli-Box, entgegengesetzt zur Fahrtrichtung, gemäß den Vorgaben der Stadtwerke. Da ich nicht zum ersten Mal Bus fahre, kenne ich das.
Bis hierhin hat es gut geklappt. Trotzdem, ich bin immer noch nervös und angespannt, meine Hände zittern.
Es wird voll im Bus. 3 Kinderwagen und ein Rollator stellen mich zu.
„Wie soll ich hier wieder rauskommen?“
„Was ist, wenn die alle nach mir aussteigen wollen?“
„Was ist, wenn noch ein Rollstuhlfahrer mit will?“
Je länger wir unterwegs sind, umso ruhiger werde ich. Ein Rest Anspannung bleibt. Zum Glück zittern meine Hände nicht mehr.
„Hoffentlich funktioniert das Aussteigen!“
Jetzt bin ich noch vom Rollator und einem Kinderwagen eingekeilt.
Meine Haltestelle kommt. Der Rollator rückt an meine rechte Seite, es ist verdammt eng, der Kinderwagen fährt nach draußen und klappt mir die Rampe aus. Ich rolle aus dem Bus, bedanke mich herzlich bei der Kinderwagenchauffeurin und atme tief durch.
„Geschafft, geschafft, meine erste Bustour!“

Maria Eifrig, August 2017


online am 21. Juni 2018

Japan ich komme!

Ihre Finger trommelten rastlos gegen das Lenkrad. Heute wird sie ihn zum letzten
Mal sehen. In fünf Stunden geht ihr Flieger. Sie hat einen Job in Japan angenommen.
So eine Chance würde sie nicht noch einmal bekommen. Peter, ihr Lebensgefährte,
kommt nicht mit.
„Keine 10 Pferde bringen mich in diese mir fremde japanische Kultur.“
hat er gesagt.
Die Entscheidung nach Japan zu gehen war leicht. Im vergangenen Jahr hatte sie 2
Monate in Japan gearbeitet. Sie lernte Land und Menschen kennen und lieben.
Peter, dieser Sturkopf! Sie wird fliegen, auch wenn er nicht mit kommt.
„Mein Gott, sieht dieser Mann gut aus.“
Nervös verlässt sie das Auto. Peter nimmt sie zur Begrüßung in den Arm.
Dann geht alles sehr schnell. Peter wünscht ihr alles Gute, setzt sich in sein Auto und
fährt davon.
Geschafft! Es war leichter als sie befürchtet hatte. Sie steigt ins Auto und fährt zum
Flughafen. Japan ich komme!

Maria Eifrig, Mai 2017


online am 07. Juni 2018

Kraft!

„Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihr weiteres Leben!“
Das waren die Verabschiedungsworte des Chefarztes der Neurologie, die er mir auf meinen MS Weg mitgab.
Als neuer, mit MS infizierter Mensch, konnte ich mir nicht vorstellen, warum er mir auf meinen weiteren Lebensweg Kraft mitgeben wollte.

Heute weiß ich es!

Jeder, der länger mit seiner MS zusammen lebt, weiß genau was ich meine.

Der tägliche Kampf, der Kampf mit den vielen Kleinigkeiten des Lebens. Reicht die Kraft um mir ein Frühstück zu machen? Reicht die Kraft bis zum Supermarkt und zurück? Oder muss ich mich unterwegs ausruhen? Schaffe ich es am Nachmittag in meine Kontaktkreisgruppe? Ertrage ich das Leid der anderen Teilnehmer? Halte ich deren gute Laune aus? Kann ich vielleicht mitlachen? Geteiltes Leid ist halbes Leid. Stimmt das? Sind genügend gute Gedanken da, um die schlechten zu vertreiben?

Jeden Tag aufs Neue den Kampf gewinnen, die  Kraft finden, die das möglich macht.
„Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihr weiteres Leben!“
Das ist bei mir angekommen.

Leben ist wie ein Eheversprechen, in guten wie in schlechten Tagen. Wir, die MS und ich, wir halten uns gegenseitig fest, in guten wie in schlechten Tagen, geben uns Kraft oder wünschen uns zum Teufel.

Ich will Dich lieben und ehren, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod uns scheidet.
Sie hat mich nicht gefragt, ob ich will, hat mich einfach genommen und Scheidung geht nicht.

„Ich wünsche Euch und mir viel Kraft!“

Maria Eifrig, Januar 2018


online am 01. Mai 2018

Rolli-Joggen – Teil 5

Heute ist ein herrlicher Tag. Die Sonne scheint, kein Wölkchen am Himmel, ein frisches Lüftchen weht. Um 8 Uhr in der Frühe haben wir bereits 20°C im Schatten. So lässt sich Rolli-Joggen genießen.  Ich „rolle“ meine Standardstrecke. Der Wind bläst durch mein Gesicht und streichelt zärtlich meine Wangen. Rechts von mir befindet sich ein Maisfeld. Es überragt mich um einen Meter,  wirkt bedrohlich und zugleich kuschelig auf mich, lädt zum Versteckspiel ein. Das Kornfeld, links von mir, ist  eingerahmt von Kamillenpflanzen und rotem Klatschmohn. Schmetterlinge tummeln sich um sie herum. Ein herrliches Bild. Ich genieße es. Dann fällt mir ein, dass ich nicht zum Genießen, sondern zum Rolli-Joggen unterwegs bin.

Die Natur hat mich verzaubert, aber die Vernunft siegt. Ich konzentriere mich auf meine Übungen, eine aufrechte Sitzhaltung einnehmen, tief ein- und ausatmen, die Lunge so richtig aufblasen, meinen Kopf nach rechts, nach links, vor, zurück und/oder im Kreis bewegen, so weit, wie es geht, meine Schultern bis zu den Ohren ziehen, meine Po-Backen – zum Stabilisieren der Blase – zusammen kneifen.

Liebe Vernunft! Es ist genug. 30 Minuten Rolli-Joggen, das reicht. Ich „hänge“ noch 20 Minuten Rolli-Spazieren ans Rolli-Joggen. Sie ist einfach zu schön, diese morgendliche Sommerfrische, ich könnte noch Stunden in Ihr verbringen.
Gut gelaunt, wegen Rolli-Joggen und Rolli-Spazieren, „rolle“ ich zufrieden nach Hause.

Es lebe der Sport!

Maria Eifrig, Juli 2017


online am 23. April 2018

Es gibt da einen Baum!

Er ist gut gewachsen, fast so hoch wie ein Haus. Er steht nicht weit von mir, fünf Minuten
mit dem Rollstuhl. Einmal im Jahr schenkt er uns seine Schönheit. Er ist einer der
ersten Frühjahrsblüher. Ich besuche ihn jedes Jahr. Halte während meiner Spazierfahrten
immer an, bestaune sein Aussehen, den edlen Wuchs, die weiß, rot gefärbten
Blüten. Leider bleiben die Blüten nur kurze Zeit. Er wirft sie ab und färbt sich mit
grünen Blättern.
Während seiner Blüte besuche ich ihn, so oft ich kann.
Er, der Baum, ist eine Sie und wird Magnolie genannt.

Maria Eifrig, April 2017


online am 26. März 2018

Rolli-Joggen – Teil 4

Heute ist Samstag. Das morgendliche Rolli-Joggen habe ich auf nachmittags verschoben. Die Sonne scheint und das Thermometer zeigt 17°C. Heute mache ich rolli-joggen und rolli-spazieren. Eine Tour von 90 Minuten habe ich geplant. Immer wieder baue ich meine Übungen ein, aufrecht sitzen, tief ein- und ausatmen, meinen Kopf bewegen – nach rechts, nach links, vor und zurück, die Schultern in Richtung Ohren ziehen, meine Po-Backen – zum Stabilisieren der Blase – zusammen kneifen.

In der Rolli-Spazieren-Zeit erfreue ich mich an der Natur, genieße die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht, lausche dem aufgeregtem Gezwitscher nestbauender Vögel,  … Es ist Frühling!  Es riecht nach Gegrilltem, geschnittenem Rasen, Blumen, duftenden Blüten, … Es ist Pollenzeit!

Ich genieße meinen Ausflug. Die Kombination Rolli-Joggen und Rolli-Spazieren gefällt mir, das muss ich wiederholen.

Es lebe der Sport! Es lebe das Open Air!


Maria Eifrig, Juni 2017 



online am 15. März 2018

Die Hupe

Als Nutzer eines Elektrorollstuhls werde ich häufig auf das Steuerelement angesprochen. Es ist ausgestattet mit der Anzeige der Akkuleistung und der Uhrzeit. Leider sind diese Informationen draußen nicht erkennbar, je stärker die Sonneneinstrahlung ist, umso weniger ist das Display zu erkennen. Blinker links und rechts, Licht, Warnblinkanlage und Geschwindigkeitsstufen sind einstellbar. Um auf sich aufmerksam zu machen verfügt der Rollstuhl über eine Hupe. Im Straßenverkehr habe ich sie bisher nicht benutzt.
Jeder, der sich mein Steuerelement erklären lässt,  erschrickt beim Geräusch der Hupe. Ab und zu benutze ich sie um unserem Kater Manieren bei zu bringen. Er mag das Geräusch nicht und ich habe ein Druckmittel ihn, trotz meiner Behinderung, erziehen zu können.

Heute habe ich eine passende Gelegenheit meine Hupe im Straßenverkehr zu benutzen. Ich fahre auf dem Gehweg, neben mir befindet sich ein Radweg.  Ein Radfahrer kommt mir auf dem Gehweg entgegen. Fährt auf mich zu. Seine Hände sind mit einem Smartphone beschäftigt. Das ist meine Chance. Ich werde meine Hube benutzen und ihn vom Gehweg vertreiben. Er kommt immer näher, seine Augen kleben auf seinem Handy. Noch wenige Meter und er fährt in mich hinein.
Ich hupe! Ich hupe!
„Rolli-huuup, Rolli-huuup!“
Es nützt nichts, er hat Kopfhörer auf und hört mich nicht. Allmählich bekomme ich Panik. Im letzten Moment weicht er auf den Radweg aus. Nichts passiert, keine Kollision, Glück gehabt!
Ich fahre gemütlich weiter.

Maria Eifrig, Juni 2017


online am 21. Februar 2018

Ein ganz normaler Wochentag – Teil 2

Der Pflegedienst kommt. Ich muss aus dem Bett. Gerne würde ich noch ein Stündchen schlummern.  Zähne putzen. Katzen füttern. Frühstück fällt aus. Um 9:00 Uhr kommt das Taxi, was mich zur Uni-Klinik bringt. Wir haben Glück, es sind Osterferien und obwohl wir quer durch die Stadt müssen, schaffen wir es in 30 Minuten. Der Tag fängt gut an! An der Anmeldung der Neurochirugie ist nichts los. Es folgt der übliche Papierkram, wie zu jedem neuen Quartalsbeginn. Kurze Wartezeit und weiter geht’s.

Warum bin ich hier: Ich habe seit einigen Jahren eine Medikamentenpumpe und diese wird alle 2 Monate aufgefüllt. Dieser Vorgang dauert ca. 20 – 30 Minuten. Heute ist es anders. Der Arzt stellt fest, dass die Batterie der Pumpe fast aufgebraucht ist. Um sie zu wechseln, muss die Pumpe ausgetauscht werden. Der Pumpenwechsel ist ein operativer Eingriff unter Vollnarkose inklusive einem 2 tägigen stationären Klinikaufenthalt. Der Arzt klärt mich über die riesigen der OP auf und will von mir eine Unterschrift für diese Information.
Endlich füllt er meine Pumpe auf, dafür bin ich ja eigentlich gekommen. Es geht weiter, Speichelprobe wegen irgendwelcher Keime und Blut abnehmen. Blut abnehmen – der absolute Horror für mich. Meine Venen sind zum Blutabnehmen nicht geeignet. Sie verstecken sich immer. Die medizinische Assistentin ist ein Genie. Ruck zuck hat sie alle Röhrchen mit meinem Blut gefüllt. Ich bekomme einen Arztbrief und kann weiter zu den Urologen.

Es ist kurz vor 11 Uhr.

Für die Anmeldung muss ich  eine Nummer ziehen und bekomme die 74. Die Anzeige steht bei 63. Das wird eine Weile dauern. Ich stelle mich neben eine Säule und mache es mir in meinem Rollstuhl bequem. Um 11:25 Uhr zeigt die Anzeige die Zahl 69. Noch fünf Nummern! 71,  72, 73 – keiner meldet sich, 74 endlich! Die Frau an der Anmeldung will die Überweisung vom Hausarzt und meine Krankenkassenkarte. Im Gegenzug bekomme ich Etiketten, die meine Behandlung bei den Urologen legitimieren. Erneut muss ich warten. Plötzlich werde ich so müde, dass ich einschlafe. Mein Lieblingspfleger weckt mich. Um 12:50 Uhr habe ich alles überstanden. Ich will nur noch nach Hause. Mein Taxi ist bestellt, kommt aber nicht. Ich rufe erneut an. Der Fahrer hat mich nicht gefunden und ist wieder gefahren. Das verstehe ich nicht. Rollstuhlfahrer sind in der Minderheit und nicht zu übersehen oder?
Um 14:20 Uhr komme ich müde, durstig, hungrig, genervt und total erschöpft zu Hause an.

Maria Eifrig, Mai 2017



online am 08. Februar 2018

Rheinsberg 2006 – ein Koffer voll guter Gedanken

Es geht los!

Es ist Freitag Morgen 8:30 Uhr. Es klingelt. Mein Gott, sind die pünktlich. Zwei Betreuerinnen von „Urlaub und Pflege“ schnappen sich mein Gepäck und meinen Schieberollstuhl. Mein E-Rollstuhl und ich folgen unauffällig. Lutz, unser Fahrer, Betreuer und Mann für alles, verstaut uns alle samt. Da ist einer, den ich kenne. Dann kommt noch eine, die ich kenne und noch eine Betreuerin.

Endlich, wir sind komplett. Es geht los. Xaver, unser bayrischer Navigator, lotst uns geschickt bis nach Rheinsberg. Toilettengänge, Kaffeepausen und die üblichen Staus um Hamburg, sowie die endlos erscheinende Holperstrecke vor Rheinsberg können uns nicht aufhalten.

Nach 10 Stunden Fahrzeit meldet Xaver: Wir nähern uns dem Ziel! Ziel erreicht!

Das „furchtbare“ Hotel!

Im Hotel finden wir Swimmingpool, Dampf- und Trockensauna, Fitnessräume, Parkanlagen, geräumige Zimmer mit Seeblick, Minibar, Telefon, Fernseher, Radio, und …

Das Essen ist eine Qual.

Das Frühstück: Helle und dunkle Brötchen, mit und ohne Körner, Grau-, Schwarz- und Knäckebrot, diverse Wurst- und Käsesorten, viel Obst, Salate, Säfte …

Es gibt Kaffee, diverse Teesorten und was noch viel schöner ist, jemand der für mich läuft und alles holt, was mein Herz begehrt – meine persönliche Betreuerin – einfach klasse.

Beim Abendessen ist es nicht anders. Das Buffet ist so vielfältig, dass selbst die Entscheidung viele kleine Portionen auszuwählen, immer noch schwer genug ist. Ich habe mich dieser Herausforderung jeden Tag aufs Neue gestellt, und es in vollen Zügen genossen.

Für Geist und Seele!

Nicht nur für das körperliche Wohlbefinden ist gesorgt – auch Geist und Seele sollen auf ihre Kosten kommen.

Wir beginnen mit Schloss Rheinsberg. Entstanden aus einer Wasserburg des Mittelalters wurde es 1734 an den preußischen König Friedrich Wilhelm I verkauft. Dieser schenkte es seinem Sohn Kronprinz Friedrich, der spätere König Friedrich II, der hier die „glücklichsten Jahre seines Lebens“ verbrachte.

Während dieser Zeit wurden Schloss und Park vergrößert und verschönert. Ein Ort zum Flanieren und Träumen  …

(weiter lesen …)

Maria Eifrig, Mai 2015 


online am 24. Januar 2018

Der Pflegedienst kommt

 Seit mehr als zehn Jahren werde ich morgens und abends von einem Pflegedienst versorgt. Sie kommen immer zur gleichen Zeit, außer am Wochenende, da kommen sie morgens eine Stunde später.

„Guten Morgen Frau E.!“
„Haben sie gut geschlafen?“
„Wie geht es ihnen?“
„Haben sie heute was geplant?“
„ … “
So werde ich morgens geweckt.
Ich bin ein Morgenmuffel, der am Morgen in Ruhe Kaffee trinken, Radio hören und/oder Zeitung lesen will, so wie früher, als ich mit meiner Mutter vor dem Schulbeginn in aller Stille frühstückte.

Schaue ich mir am Abend im Fernsehen einen Krimi oder ein Fußballspiel an, versäume ich regelmäßig das Ende.
„Guten Abend Frau E.!“
„Wie geht es ihnen?“
„Wie war ihr Tag?“
„Haben sie morgen was vor?“
„ …“
Es waren schöne Zeiten, als ich sehen konnte, wie beim Krimi der Mörder überführt wurde, beim Fußball in der Nachspielzeit ein Tor fiel oder abends Freunde vorbei kamen und es ein „Open End“-Abend wurde.

Ausschlafen oder zu Bett gehen, wenn ich müde bin, kann ich nicht mehr. Ich werde mich an diesen Zustand nie gewöhnen. Meistens ertrage ich ihn tapfer, aber zuweilen überkommt mich das heulende Elend: keine Besserung für den Rest meines Lebens – verdammt, verflucht, dreimal schwarzer Kater!!!
Mein jämmerliches Geheule ändert nichts, ob wohl, irgendwie fühle ich mich danach besser. Es gibt mir Kraft und Mut zum Durchhalten.

Maria Eifrig, Dezember 2016